Die Rhätische Bahn in allen Facetten

Ich hatte irgendwo gelesen, dass am Tag der Eröffnung der IR38 mit drei Capricorns durch den Tunnel fuhr, kennt jemand den Grund?

Hoi zäma

Nun ist es endlich wieder mal an der Zeit für eine meiner längeren Reportagen. Sie ist nicht top-aktuell, doch denke ich, dass sie nicht alltäglich ist und uns (hoffentlich!) nicht so schnell wieder passiert.

Eine neue Fahrzeugflotte wie die Capricorn-Triebzüge bringt auch immer neue, bislang unbekannte Herausforderungen mit sich.

Am 20.Januar 2024 kollidierte der RTZ 3138 abends zwischen Madulain und La Punt Chamues-ch mit fünf entlaufenen Pferden. Die Stelle ist durch die Felswand und die Kurve sehr unübersichtlich und die Fahrgeschwindigkeit verhältnismässig hoch, sodass das Unglück erst zu erkennen war, als es schon längst zu spät war. Für die Pferde ein Glück im Unglück - sie hatten nicht zu leiden. Ich verzichte bewusst darauf, hier entsprechende Bilder vom Fahrzeug nach dem Unfall einzustellen, sie waren nicht appetitlich. Die Kantonspolizei hat in ihrem Bericht ein Foto, bei dem es einem nicht schlecht wird: https://www.gr.ch/DE/institution…/202401211.aspx

Das Fahrzeug stand nun also überdurchschnittlich verschmutzt in Samedan und musste erst einmal gründlich gereinigt werden. Vorerst demontierte man auch die beschädigten Frontschürzen und was sonst noch lose herunterhing, bevor man den RTZ zu uns nach Landquart zur genaueren Befundung überführte. Die Erkenntnis schlug ein: Nicht nur die Frontschürzen hatten gelitten, auch die fest mit dem Fahrzeugkasten verklebte Kabine selbst! Das GFK (Glasfaserverstärkter Konststoff) war stellenweise aufgerissen und das Laminat hatte sich über eine beträchtliche Fläche gelöst. Eine Abschätzung über die Dauer des Ausfalls musste her und wir meldeten der Fahrzeug-Dispo blindlings "3 Monate". Es war schlicht nicht abzuschätzen, da wir noch keinen vergleichbaren Fall hatte.

Am 23.Januar zeigte sich der Patient so in Landquart, auf dem Bild links ist die Spaltung der Frontkabine erkennbar.

Als nächstes durften wir diverse Leute empfangen: Begutachter im Auftrag der Versicherung, ein Team von Stadler Rail und ausserdem die Herstellerfirma der Frontkabine. Letztere erstellte eine Expertise über den Zustand und die Reparaturmöglichkeiten. Fazit: Die Stabilität der Kabine hat in nicht abschätzbarem Masse gelitten, die Kabine ist zu tauschen. Auch nicht zu vergessen, dass der RTZ zum Zeitpunkt keine zwei Jahre alt war, man sich also nicht schon auf Bastelübungen einlassen wollte. Eine weiterer Rückschlag war die Tatsache, dass die Firma die Herstellung der RTZ-Kabinen bereits abgeschlossen hatte. Ein schnelles Ersatzteil aus der Serie war also nicht zu kriegen. Dennoch haben sie Grosses geleistet: In Rekordzeit war die neue Kabine in Altenrhein bei Stadler eingetroffen, welche die Kabine lackierten und mit allen Fensterscheiben ausrüsteten. Es folgten Abklärungen darüber, ob eine solche Klebung der Klasse A1 (Hochsicherheit) bei uns in Landquart möglich war, es galt hohe Anforderungen an Umgebungsbedingungen, Staubbelastung, Temperatur und Luftfeuchtigkeit zu erfüllen - erfolgreich!

Die einbaubereite Frontkabine, dahinter der vorbereitete Triebkopf des 3138.

Als Vorarbeit waren nun alle Teile aus dem Fahrzeug auszubauen, welche innen an der Kabine befestigt waren oder die Zugänglichkeit zur Klebenaht einschränkten. Etliche Verkleidungsteile, Zugzielanzeigen, Rückspiegel und viele andere Teile wurden ausgebaut. Zum grossen Glück kann der Führertisch mit seinen (gefühlt) 30'000 Kabeln und Steckern drin bleiben.

Links seht ihr die ausgeräumte Kabine, rechts einen Ausschnitt der "Ausstellung" an ausgebauten Teilen

Der grosse Tag war dann der 17.April 2024: Stadler rückte mit drei Leuten an und übertrafen sich an diesem Tag selbst: Bis um 10 Uhr war die beschädigte Kabine abgeschnitten, abends um 16 Uhr war die neue fertig verklebt am Fahrzeug. Es passte einfach alles wie angegossen und die Leute kamen gut voran. Am Folgetag war noch die Sichtfuge zu vollenden und alle waren positiv überrascht. Der leitende Mitarbeiter von Stadler Rail sagte mir, dass der 3138 in seinen nun knapp 20 Jahren der vierte Zug sei, an dem sie eine Kabine tauschen würden - also auch für versierte Leute alles andere als alltäglich! Auch noch eine Erkenntnis: Die Kabine am RTZ kann nicht demontiert werden, ohne sie zu zerstören.

Alle Schnitte sind getan, und kurze Zeit später sieht er aus wie ein Abbruchfahrzeug.

Nachdem alle ausgebauten Teile wieder ihren Weg zurück ins Fahrzeug gefunden hatten, brachen wir am 25.April zur Probefahrt auf. Befund: Alles top - Fahrzeug bereit für den Betrieb. Ihr erinnert euch? 3 Monate hatten wir geschätzt - 3 Monate sollten es sein. Letztlich hatten wir alle Frontschürzen bis auf eine getauscht, die Frontkupplung zu Reparatur eingeschickt und die Kabine ersetzt. Rückblickend war es ein herausforderndes, aber sehr spannendes Projekt mit vielen interessanten Begegnungen und Erkenntnissen. Möge es dennoch ein Einzelfall bleiben!

25.April 2024: Wie neu steht der RTZ 3138 in Serneus.

Ich hoffe, euch den Sonntag etwas spannend gestaltet zu haben und wünsche viel Spass!

Gruss Riccardo

Lieber Riccardo,

vielen Dank für den nicht alltäglichen Bericht. Ein spannender Einblick in die RhB-Werkstatt.

Viele Grüße
Marco

Hallo Riccardo,

ein wirklich spannender Bericht. Man kann nur erahnen, was das für ein Aufwand und eine Herausforderung für alle beteiligten war.

Danke dafür ...

Hallo Riccardo!

Herzlichen Dank für die spannenden Einblicke!

Hallo Riccardo,

ja das sind heute die Herausforderungen bei den modernen Fahrzeugen durch die

Verbundtechnik/-verklebung. Waren ja mit unserem Modellbahnverein 2019 in der Hauptwerkstätte in Landquart und waren

da schon schwer beeindruckt was da alles gewartet und Instand gehalten wird.

War für mich als ehemaliger TF nochmals hochinteressant, wie sich manche Dinge in der Instandhaltung

geändert hat und manches von früher noch kannte, da man bei der DB einen technischen Beruf benötigte

um Lokführer zu werden und ich im Betriebswerk 9 Monate in der Instandhaltung vor der TF Ausbildung war.

Ich kann nur sagen Chapeau zu dieser Leistung.

Gruß Manne

Danke Willy, scheinbar hat die Malerei noch Kapazitäten frei, bald wird doch die 653 kommen und dann vielleich schon die 626 - oder?

Grüße Kurt