- Offizieller Beitrag
Bericht in der Sonntagszeitung vom 13.08.2006
ZitatAlles anzeigenBund reicht Anzeige gegen BLS ein
» Bahnunfall bei Thun: BAV entdeckt gravierende Verstösse gegen Arbeitszeitgesetz
Von Matthias Halbeis
Zürich - Das Bundesamt für Verkehr (BAV) hat wegen mehrerer Verstösse gegen das Arbeitszeitgesetz Strafanzeige gegen die Bern-Lötschberg-Simplon-Bahn eingereicht. Dies hat Folgen für sämtliche Bahnen in der Schweiz: Das BAV wird künftig stichprobenartig die Einhaltung der Arbeitszeiten im gesamten Bahn-Baudienst kontrollieren.
Im Mai war ein Bauzug der Bern-Lötschberg-Simplon-Bahn (BLS) b ei Thun ungebremst in einen anderen Zug gerast. Drei Männer verloren ihr Leben. Die beiden Lokführer hatten auf der steilen Strecke FrutigenThun die Herrschaft über die Komposition verloren weil der Bremshahn an der Lokomotive geschlossen blieb. Zudem waren die Bremsen einzelner Wagen nicht angeschlossen. Dies zeigten erste Untersuchungen der Horrorfahrt.
Die Untersuchung umfasste mehrere Mitarbeiter der BLS
Kurz nach dem Unfall wurden Zweifel laut, ob die Verunglückten genügend Ruhezeit gehabt hatten. Daraufhin eröffnete das BAV eine Untersuchung gegen die BLS. Dienstpläne und Diensteinteilungen von mehreren BLS-Mitarbeitern wurden eingefordert.
Neben den Verunglückten betraf die Untersuchung all jene BLS-Mitarbeiter, die in der Unglücksnacht im Umfeld der getöteten Männer und auf der Leitstelle gearbeitet hatten.
Die Untersuchung förderte Unerfreuliches in Sachen Arbeitszeitgesetz (AZG) zu Tage: Ein tödlich verunglückter Lokführer und zwei weitere Mitarbeiter hatten mehr als erlaubt gearbeitet. Sie hatten Pausen nicht eingehalten, zudem war die Abfolge von Dienst- und Ruheschichten fehlerhaft. Die Einhaltung des AZG gilt im öffentlichen Verkehr als sicherheitsrelevant.
Die Verstösse sind offenbar schwer wiegend sonst hätte die Bahnaufsichtsbehörde keine Anzeige erstattet. «Eine Strafanzeige darf das BAV nur dann einreichen, wenn die Verletzungen nicht geringfügig sind», bestätigt BAV-Sprecher Gregor Saladin. Die Strafanzeigen richten sich gegen das Bahnunternehmen sowie die beiden Baudienstmitarbeiter, bei denen man Arbeitszeitüberschreitungen entdeckt hatte.
Gleichzeitig hat das BAV die BLS aufgefordert, Vorschläge zu machen, wie Verletzungen der Vorschriften künftig verhindert werden können. Der Aufforderung ist die BLS fristgerecht nachgekommen. Insgesamt habe sie sich «kooperativ und lösungsorientiert» gezeigt, sagt Saladin. Bei der BLS war niemand für eine Stellungnahme erreichbar.
Schon kurz nach dem Unglück hatte die BLS zugegeben, dass einer der beiden getöteten Lokführer am Morgen vor dem Unglück mit allgemeinen Unterhaltsarbeiten beschäftigt war. Demzufolge konnte er die Mindestruhezeit von neun Stunden nicht einhalten, als er seine normale Schicht antrat. Kürzlich hatte BLS-Direktor Mathias Tromp einräumen müssen, dass es im Baudienst Probleme gebe, die sicherheitsrelevanten AZG-Vorschriften jederzeit einzuhalten.
Bisher hat das BAV erst einmal eine Strafanzeige gegen ein Bahnunternehmen wegen AZG-Verstössen eingereicht. Der Fall betraf die Güterbahn TX Logistik. Der ehemalige Geschäftsführer des Unternehmens wurde im August 2005 vom Strafgericht Basel-Stadt zu einer Busse von 2000 Franken verurteilt.